Ernennung Friedhofskultur in Deutschland zum immateriellen Kulturerbe
Hamburg. Die Friedhofskultur in Deutschland ist immaterielles Kulturerbe. Auf Empfehlung der Deutschen UNESCO-Kommission hat jetzt die Kultusministerkonferenz die Aufnahme in das bundesweite Kulturerbe-Verzeichnis beschlossen. Damit würdigt die Bundesrepublik den identitätsstiftenden, lebendigen und vielschichtigen Wert der Friedhofskultur für unsere Gesellschaft, und das nicht nur in kultureller Hinsicht, sondern beispielsweise auch unter sozialen und historischen Aspekten oder in Bezug auf Klimaschutz, Integration und Völkerverständigung.
„Dies ist vor allem auch eine große Anerkennung für die über 100.000 Menschen, die sich hierzulande für das Friedhofswesen engagieren“, freut sich Tobias Pehle, Initiator der antragstellenden „Initiative Kulturerbe Friedhof“, zu der sich viele Kräfte im Friedhofswesen zusammengeschlossen hatten. Denn ausgezeichnet wurden nicht die Friedhöfe an sich, sondern vor allem das, was Menschen auf dem Friedhof tun: das Trauern, Erinnern und Gedenken einerseits, das Gestalten, Pflegen und Bewahren andererseits.
Den Rahmen dafür schaffen Friedhofsverwalter*innen, Bestatter*innen, Gärtner*innen und Steinmetz*innen, aber auch viele ehrenamtlich Tätige in christlichen, jüdischen und muslimischen Gemeinden. Hinzu kommen viele Menschen, die sich in Vereinen z.B. um den Denkmalschutz verdient machen.
Die Ernennung zum Kulturerbe ist dabei für den Einzelnen genauso bedeutsam wie für die Gesellschaft, wie Dr. Dirk Pörschmann, Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel, erläutert: „Was es bedeutet Mensch zu sein, wird in besonderer Weise auf Friedhöfen deutlich. Wir brauchen Rituale, um Verluste zu überwinden. Alles was Menschen auf Friedhöfen in Deutschland gestalten, kommt ihrer persönlichen Trauer wie auch der kollektiven Erinnerungskultur zugute. Das macht den Ort der Toten zu einem lebendigen Ort.“ Es geht also nicht darum, den Friedhof zu mumifizieren, wie Pehle ergänzt, sondern die aktuellen Ausdrucksformen des Friedhofswesens in den Fokus zu rücken. Hierzu gehören beispielsweise naturnahe Gestaltungskonzepte, moderne Gedenksteine oder Gemeinschaftsgrabanlagen wie der Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg.
Auch wenn es beim immateriellen Erbe der UNESCO nicht um das Trennende von Kulturen geht, so ist die Friedhofskultur in Deutschland doch einzigartig. „Die Art und Weise, wie wir unsere Gräber als kleine Gärten der Erinnerung individuell und oft auch selbst gestalten ist genauso besonders wie das Einbetten der Gräber in Parklandschaften“, erklärt Friedhofsexperte Prof. Dr. Norbert Fischer.
Zugleich wird durch die Ernennung zum Kulturerbe aber auch auf Bedrohungen der Friedhofskultur aufmerksam gemacht. So benennt der Antrag vor allem die Zunahme von sogenannten Naturbestattungen außerhalb der klassischen Friedhöfe als Risikofaktor, aber auch Versäumnisse im Friedhofswesen selbst. Zugleich sind aktuelle gesellschaftliche Veränderungen nicht nur Gefährdung, sondern bieten auch vielfältige Chancen für die Entwicklung der Friedhofskultur.
Die Friedhofskultur in Deutschland ist das erste immaterielle Erbe, das über die Freie Hansestadt Hamburg bei der deutschen UNESCO-Kommission eingereicht worden ist. Über fünf Jahre hinweg hat sich die Initiative für diese Anerkennung eingesetzt. Auf Wunsch der UNESCO-Kommission ist der Antrag dabei mehrmals überarbeitet worden. So stand am Anfang die identitätsstiftende Kraft der Friedhofskultur im Fokus der Bewerbung, in der Endfassung liegt der Schwerpunkt auf den lebendigen Ausdrucksformen. Zudem ging es darum, alle Trägergemeinschaften einzubinden, also z.B. auch Juden und Muslime.
Bundesweit wird sich jetzt das neu gegründete „Kuratorium Immaterielles Erbe Friedhofskultur in Deutschland“ des Erbes annehmen. Ziel ist es, die Bedeutung der Friedhofskultur für unsere Gesellschaft in der Breite der Bevölkerung zu verankern und so – im Sinne der UNESCO – zu deren Schutz beizutragen. Ein erster Schlüssel dazu ist die Internetseite „www.kulturerbe-friedhof.de“, die umfassend über das Erbe informiert.
Zitate zur Ernennung
Tobias Pehle, Initiator des immateriellen Erbes Friedhofskultur in Deutschland:
„Die Friedhofskultur hat die Kraft, Menschen nach innen zu bewegen und Gesellschaft nach außen zu prägen.“
„Es geht nicht um die Friedhöfe an sich, sondern um das, was die Menschen tun. Das ist mit dem immateriellen Erbe „Theaterlandschaft“ zu vergleichen. Da geht es auch nicht um die Theatergebäude, sondern um das Spielen, Inszenieren oder Rezipieren.“
„Es gibt keinen besseren Ort über das Leben nachzudenken als den Friedhof – er ist unser größtes Philosophie-Forum.“
„Die Friedhofskultur ist wie ein gesellschaftlicher Seismograph, der Strömungen und Zustände unserer Gesellschaft spiegelt. So wundert es beispielsweise nicht, dass in unserer materiell orientierten Gesellschaft der Friedhof von vielen in erster Linie unter Kostenaspekten gesehen wird – und eben nicht sein sozialer oder kultureller Wert.“
„Die Ernennung unserer Friedhofskultur zum immateriellen Erbe mumifiziert sie nicht, sondern unterstreicht ihre lebendige, identitätsstiftende Kraft.“ „Der Umgang mit den Toten ist quer durch alle Zeiten und rund um den Globus ein prägendes Merkmal der Kulturen – und so natürlich auch bei uns.“
Dr. Dirk Pörschmann, Direktor des Museums für Sepulkralkultur, Kassel:
„Was es bedeutet Mensch zu sein, wird in besonderer Weise auf Friedhöfen deutlich. Wir brauchen Rituale, um Verluste zu überwinden. Alles was Menschen auf Friedhöfen in Deutschland gestalten, kommt ihrer persönlichen Trauer wie auch der kollektiven Erinnerungskultur zugute. Das macht den Ort der Toten zu einem lebendigen Ort.“
Prof. Dr. Norbert Fischer, Kulturwissenschaftler, Universität Hamburg:
„Friedhöfe sind seit Jahrhunderten zentrale Orte der Trauerkultur. Sie sind Schauplätze von Ritualen am konkreten Ort der Bestattung. Darüber hinaus haben sie eine hohe symbolische Bedeutung – denn Friedhöfe sind Orte des Gedächtnisses. Die Grabstätte bedeutet Identität auch nach dem Tod.“
„Friedhofskultur sagt etwas aus über Bestattungs- und Trauertraditionen in verschiedenen Epochen und welche Muster dabei entwickelt wurden. Friedhöfe und ihre Grabmäler sind damit zu einer Schatzkammer von Kultur und Gesellschaft geworden. Die „Gedächtnislandschaft Friedhof“ bildet ein historisches Archiv der besonderen Art, das schützenswert ist.“
„Die Art und Weise, wie wir unsere Gräber als kleine Gärten der Erinnerung individuell und oft auch selbst gestalten ist genauso besonders wie das Einbetten der Gräber in Parklandschaften.“
Ansprechpartner Presse:
Inititative Kulturerbe Friedhof
Tobias Pehle
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Tel.: 0171 7039925
Detaillierte Informationen zu den inhaltlichen Aspekten des Erbes unter:
www.kulturerbe-friedhof.de
www.kulturerbe-friedhof.de